Mittwoch, 18. Februar 2009

Von Ballgefühl und Bahnschranken

Mein Beitrag für den "Paternoster" der Frankfurter Agentur Wolkenkratzer.
(Online-Magazin, Erscheinung: tba.)

- Wie ich meine Liebe zum Tipp-Kick wiederfand -

„Haste Lust auf ne Runde Tipp-Kick?“ fragt sie mich. Meinen Blick hätte ich gerne gesehen. Spontane Feststellungen, die durch mein in fußballerischer Hinsicht makelloses Macho-Hirn schwirren, überschlagen sich. Erstens: Wieso fragt mich eine Frau, ob ich mit ihr etwas machen möchte, was mehr oder weniger mit MEINEM Sport zu tun hat?! Zweitens: Wieso sollte ich meine Zeit mit einem angestaubten Filzteppich und zwei traurig dreinblickenden Eisenfigürchen verplempern? Ich krame im persönlichen Archiv meiner Kindheit und versuche mich zu erinnern, wann und gegen wen ich zum letzten Mal Tipp-Kick spielte. Es muss in den spätern Achtzigern gewesen sein, Gegner war mein Opa – und gewonnen habe logischerweise ich. Seitdem bestand meine Filzmatte ausschließlich aus echtem Rasen, war deutlich größer und die Tormänner konnten nicht nur wie eine müde Bahnschranke links- oder rechtsherum umkippen. Die zweite Leidenschaft lag und liegt im virtuellen Kick: Eigens zusammengestelltes Team, perfekt angepasste Trainingseinheiten, neun verschiedene Kamerapositionen und mit einem Klick (der natürlich viel Übung und Geschick voraussetzt) das Fallrückzieher-Tor des Jahres.
Aber gut, ich bin nur der Praktikant – und wenn die Chefin eine Lektion erteilt bekommen möchte, dann bin ich natürlich bereit, mich dafür zu opfern. Also Spielfeld ausgebreitet, Tore eingesteckt und den Ball in den Mittelkreis gelegt.

„Wir müssen erst mal die Regeln durchlesen“, sagt sie plötzlich, während ich mich schon mitten in meiner Konzentrationsphase befinde. Ein erster Blick ins beiliegende Heftchen macht mir klar, dass es hier wirklich um was geht: Spielzeit 2 x 5 Minuten, Do’s und Dont’s in Sachen Anstoß, Einwurf, Eckball, Abwehrverhalten – ja sogar Elfmeter gibt es. So langsam steigt nicht nur mein Kampfgeist, sondern auch die Erinnerung an längst vergessene Schlachten gegen meinen Großvater: Die optimale Positionierung von Spielermänneken und Bahnschrankentorwart. Das richtige Gefühl in der Fingerspitze, um den gewünschten Schuss auslösen zu können. Gedanken machen. Den Überblick behalten. Zittrige Hände vermeiden.
Freud‘ und Leid lasten nun also auf dem einen geschätzten Quadratzentimeter meines Körpers, der sich „Fingerspitze des linken Zeigefingers“ schimpft. Ich nehme Rot (Eintracht Frankfurt, was sonst?!), sie wählt Grün (Bremer Fischköpfe, ich lach‘ mich tot!) und da ich ein Gentleman par excellence bin, überlasse ich ihr den Anstoß. Erste Halbzeit, fünf Minuten, perfektes Fußballwetter. Anpfiff. Sie geht sofort aufs Ganze, der erste Schuss zischt knapp am linken Pfosten vorbei und hätte meinen Keeper (den ich logischerweise Uli getauft habe) fast alt aussehen lassen. Hossa, was so ein kleines Eisenbeinchen doch an Geschwindigkeit erzeugen kann. Ich lege den Ball also zum Abstoß bereit, konzentriere mich – und dresche den zwölfeckigen Würfel ins Nichts. Uff, mit roher Gewalt und Kick&Rush ist hier also nicht viel zu holen. Es geht um Geduld, um Fingerspitzengefühl. Beides Eigenschaften, die auf dem Fußballplatz und in der männlichen Welt wenig verloren haben. Wenn meine Vorfahren aus der Steinzeit diese Attribute befolgt hätten, die Säbelzahntiger hätten sich schlapp gelacht. Aber Qualität kommt von Qual – und da muss ich jetzt durch.
Meiner Gegenüber scheinen die oben bemängelten Eigenschaften in die Wiege gelegt worden zu sein: Stück für Stück arbeitet sie sich auf dem Spielfeld voran, immer mit dem nötigen Glück, ihre Farbe auf der Oberseite des Balles vorzufinden. Gut platzierter Schuss, noch bessere Parade. „Uli für Deutschland!“ schallt es aus dem imaginären Fanblock hinter mir. Der folgende Eckball fliegt ins Niemannsland und beschert mir einen Abstoß. Was nun folgt, lässt die Welt für einen Moment still stehen und jedes Fußballerherz schneller schlagen: Mein Abstoß schlägt aus geschätzten 300 Metern unhaltbar und gnadenlos in ihrem Tor ein. Peng, die Führung direkt mit dem Halbzeitpfiff, es könnte nicht besser laufen. Hab’ ja auch nichts anderes erwartet...
Nach einer kurzen Erfrischungspause und dem obligatorischen Seitenwechsel heißt es Anpfiff zu Halbzeit zwei – und plötzlich befinde ich mich in einer Abwehrschlacht. Schuss um Schuss hagelt es auf mein Tor, immer perfekt vorbereitet und abgeschlossen. Ehe ich die Situation realisiert habe, steht es 1:2 für Bremen. So langsam packt mich die Wut. Nichts will mehr gelingen, Jay-Jay (Okocha, unser Alleinunterhalter aus den späten Neunzigern) versemmelt einen Versuch nach dem anderen – und wenn der Ball mal in aussichtsreicher Position landet, dann stets mit der Farbe meiner Gegnerin nach oben. Zu gerne würde ich mal die Blutgrätsche auspacken, doch hier geht es um Taktik, nicht um martialisches Stammtischgehabe. Ich muss mir eingestehen, sowohl die Frau, als auch die Situation vollkommen falsch eingeschätzt zu haben. Ich wische den Schweiß von meiner Stirn und versuche, meine Taktik an die Ihre anzupassen. Nicht die kreativste Lösung, aber hoffentlich effektiver als bisher. Als der Ball vom Tisch kullert und ich für einen Moment durchatmen kann, fällt mir auf, dass ich die letzten Minuten wirklich versunken war. Versunken in das Spiel und den Spaß, den es mit sich bringt, wenn man sich darauf einlässt. Emotionen zu zeigen wäre jetzt allerdings fatal, deshalb behalte ich meine Pokervisage und frage den Schiedsrichter nach der Uhrzeit: „Eine Minute noch“ verkündet dieser.
Ich ahne Schlimmes. Doch jetzt soll ich auch mal Glück haben: Meine Farbe landet wiederholt an der Oberfläche, ich kämpfe mich durchs Mittelfeld und befinde mich nun halb links am Strafraum. Letzte Aktion, letzte Chance, alles oder nichts. Jay-Jay steht bereit. Meine Finger sind feucht, aber entschlossen. Ein letztes Mal rücke ich seinen Fuß zurecht, berechne die Flugbahn, beachte die Position ihrer beiden Spieler – und drücke ab.
Der Ball fliegt leicht angedreht Richtung Tor, streift die Wade ihres Schützlings, wird dadurch entscheidend (und wie erhofft) abgefälscht und landet zum viel umjubelten Ausgleich in den Plastikmaschen. Ihr Torwart macht ein blödes Gesicht, ich reiße meine Arme in die Höhe. 2:2 nach 10 Minuten. Abpfiff. Ich feiere diesen einen Punkt wie den Gewinn der Weltmeisterschaft mit meinem virtuellen Team vor einer Woche. Eigentlich noch mehr, merke ich. Friedliches Shakehands zwischen den Geschlechtern. Ich sage: „Verdientes Unentschieden“ – und denke: „Du warst wirklich besser als ich“.
Das nächste Match folgt hoffentlich bald. Und die Kiste auf dem Schreibtisch bleibt aus.

1 Kommentar:

  1. Das ist ein wirklich toller Text! Ich habe mich gefühlt, als hätte ich persönlich in der imaginären Fankurve gesessen!
    Wunderbar!

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